Ab Anfang der 2030er Jahre wird Korridor B Strom von der Nordseeküste ins Ruhrgebiet transportieren. Ein großer Teil davon kommt aus Windparks in der Nordsee. Wie das Zusammenspiel von Offshore- und Onshore-Projekten funktioniert, erklärt Sönke Scholl, Leiter Offshore Technik bei Amprion.

WIND- UND SONNENENERGIE GEHÖREN ZU DEN TREIBERN DER ENERGIEWENDE. ABER WIE KOMMT DIESE ENERGIE AUS ERNEUERBAREN QUELLEN IN DEN VERBRAUCHSZENTREN AN?
Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Windparks auf See im Jahr 2035 so viel elektrische Leistung bereitstellen wie etwa 40 große Kohlekraftwerke. Bis zum Jahr 2045 soll die erzeugte Leistung auf See auf 70 Gigawatt ansteigen. Dafür braucht es allerdings nicht nur neue Offshore-Windparks, sondern auch neue Leitungen, die sie mit dem Übertragungsnetz verbinden. Als einer von vier Übertragungsnetzbetreibern hat Amprion den gesetzlichen Auftrag, diese Leitungen – die Offshore-Netzanbindungssysteme – zu bauen. Die Amprion Offshore GmbH ist als hundertprozentiges Tochterunternehmen mit den Offshore-Aktivitäten betraut – wir schließen also die großen Windparks in der Nordsee direkt an das bestehende Stromnetz an.
WANN WERDEN DIE ERSTEN SYSTEME FERTIG UND WAS KÖNNEN SIE LEISTEN?
Unsere ersten beiden Offshore-Netzanbindungssysteme – DolWin4 und BorWin4 – sollen im Jahr 2028 in Betrieb gehen. Im Fall von BorWin4 ist das ein Jahr früher als ursprünglich geplant. Die Leitungen schließen in Lingen Offshore-Windparks mit einer Leistung von jeweils 900 Megawatt an. Sie ersetzen das Kernkraftwerk Emsland mit einer Leistung von 1,4 Gigawatt, das im April 2023 vom Netz gegangen ist. Derzeit planen wir auch die Systeme BalWin1 und BalWin2 mit einer Leistung von jeweils 2 Gigawatt. Sie verlaufen bis in den Raum Osnabrück und sollen 2029 und 2030 in Betrieb gehen – zwei beziehungsweise drei Jahre früher als ursprünglich geplant. Der zweite Entwurf des aktuellen Netzentwicklungsplans sieht noch weitere Offshore-Netzanbindungssysteme vor, die Amprion planen und bauen wird. Dazu gehört das Projekt „Windader West“. Das sind vier Systeme, die insgesamt acht Gigawatt Leistung übertragen sollen. Die Inbetriebnahme ist zwischen 2032 und 2036 geplant.
DIE ANSCHLUSSSYSTEME VERLAUFEN UNTERIRDISCH – SOWOHL SEE- ALS AUCH LANDSEITIG. WELCHE HERAUSFORDERUNGEN GIBT ES BEI DER PLANUNG UND UMSETZUNG DER VORHABEN?
Die Installation der Seekabel erfordert viel Planung und Expertise. Die Arbeit auf See ist technisch anspruchsvoll. Mit dem Wattenmeer und den ostfriesischen Inseln queren wir mit Blick auf den Naturschutz sensible Bereiche, in denen wir sehr vorsichtig vorgehen müssen. Bei der Querung von Norderney haben wir daher besonders schonende Bohrverfahren eingesetzt. Die Bauarbeiten fanden innerhalb von rund zehn Wochen zwischen Mitte Juli und Ende September statt, um zum Beispiel Vögel nicht beim Nisten zu stören. Darüber hinaus haben wir sehr lange Landtrassen bis zu unseren Anschlusspunkten. Bei DolWin4 und BorWin4 planen wir jeweils rund 150 Kilometer Erdkabel, bei BalWin1 und BalWin2 sogar über 200 Kilometer. Mit diesen Dimensionen stoßen wir auf ähnliche Herausforderungen wie beim Projekt Korridor B.
WIE UNTERSCHEIDEN SICH ONSHORE- UND OFFSHORE-LEITUNGSABSCHNITTE BEI DER ANBINDUNG VON WINDPARKS AUF SEE HINSICHTLICH PLANUNG, BAU UND BETRIEB?
Die Genehmigungsabschnitte an Land sind mit anderen Netzausbauvorhaben an Land vergleichbar. Genehmigungsrechtlich liegt die Zuständigkeit in der Regel bei den Behörden der jeweiligen Bundesländer, und der Bau ist in den Grundzügen mit Korridor B vergleichbar. Im Küstenmeer bewegen wir uns genehmigungsrechtlich zwar weiterhin in den gängigen Verfahren, jedoch müssen Belange berücksichtigt werden, die an Land in der Regel eine untergeordnete Rolle spielen. Unsere Vorhaben werden einen Großteil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer queren. Das müssen wir bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb der Leitungen stets berücksichtigen. Die sogenannte Zwölf-Seemeilen-Grenze bildet den Übergang vom Küstenmeer in die Ausschließliche Wirtschaftszone. Sie fällt genehmigungsrechtlich in die Zuständigkeit des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie. Die Seekabel und Konverterplattformen, die wir dort genehmigen lassen, unterliegen einem anderen genehmigungsrechtlichen Rahmen und unterscheiden sich natürlich auch beim Bau und Betrieb. Spätestens ab dieser Grenze hat alles einen sehr maritimen Charakter, was sich unmittelbar auf den Bau sowie den Betrieb auswirkt.
WIE ENG ARBEITET DAS AMPRION-OFFSHORE-TEAM MIT DEN TEAMS ZUSAMMEN, DIE PROJEKTE AN LAND WIE KORRIDOR B, A-NORD UND RHEIN-MAIN-LINK REALISISEREN?
Wir stimmen uns kontinuierlich mit den Teams der anderen Netzausbauprojekte ab. Dazu gehören einerseits Erdkabelprojekte wie Korridor B, A-Nord und der Rhein-Main-Link, andererseits aber auch Freileitungsprojekte, die in Niedersachsen und NRW geplant sind. Auch mit anderen Netzbetreibern tauschen wir uns regelmäßig aus und koordinieren laufend die Planungen. Denn wenn sich bei einem Projekt die Trassenführung ändert, dann kann das unter Umständen unmittelbare Auswirkungen auf andere Projekte haben.
Sönke Scholl leitet die Abteilung für technische Prozesse im Bereich Offshore. Seit 2019 ist er bei Amprion.
Weiterführende Informationen
- Amprion Offshore
Website
Interview von Sonja Kling und Lisa-Shirin Raja, veröffentlicht am 6. Oktober 2023